Leitfaden für die Umgehung des Einzelaktien-Auswahl-Paradoxons

Leitfaden für die Umgehung des Einzelaktien-Auswahl-Paradoxons

Die Anzahl an Einzelaktien, welche an den verschiedenen Börsen handelbar sind, ist schier unendlich. Die Auswahl einer oder mehrere Investitionen für das private Portfolio ist nicht immer ganz so einfach. Dieses Phänomen heisst Auswahlparadoxon (engl. choice overload). Bei einer grossen Auswahl an Produkten kauft der Mensch lieber nichts (aus Angst einen Fehlkauf zu tätigen). Bei einer kleineren Anzahl an möglichen Optionen steigen jedoch die Chancen, dass mindestens ein Artikel gewählt wird. Daher weichen die meisten Anleger auf einen breit gestreuten Indexfonds aus oder lassen das Geld auf dem Sparkonto liegen. Dieser Beitrag stellt verschiedene Möglichkeiten vor, um einzelne Firmen für eine Investition zu finden. Dabei handelt es sich um eine Auflistung von Methoden, welche vom Autor dieses Artikels stammt. Diese ist natürlich nicht vollständig und es gibt dabei auch keine Garantie auf Erfolg. Die Frage, nach der Vorgehensweise zur Auswahl von Einzelaktien, sollte Teil eines jeden Gespräches unter Privatinvestoren sein.

Die einzelnen Verfahren wurden in zwei Kategorien unterteilt. Die “Top-Down”-Methoden (von oben nach unten) betrachten zu Beginn eine Teilmenge von Unternehmen, welche anhand eines Kriteriums gebildet wird. Dabei handelt es sich meistens um eine kurzfristig unveränderliche Eigenschaft der Unternehmungen. Danach wird diese Menge in einem oder mehreren Schritten verkleinert (anhand von veränderlichen Kennzahlen). Bei den “Bottom-Up”-Verfahren wird der umgekehrte Weg verfolgt. Dabei wird das komplette Universum von Einzelaktien beachtet und mit Hilfe von verschiedenen Kriterien reduziert. Im Anschluss wird geschaut, welche davon am Besten in das bestehende Portfolio passen. Einige Verfahren können in beide Richtungen angewendet werden, andere wiederum passen in keine der beiden Kategorien (diese werden im Abschnitt “Diverse” geführt).

Top-Down

Die nachfolgenden Herangehensweisen verwenden zu Beginn extrem stabile Faktoren, um die Anzahl der potentiellen Investments zu reduzieren. Danach können weitere Kriterien verwendet werden, um innerhalb der resultierenden Restmenge, die passende Einzelaktie zu ermitteln.

Branche

Bei diesem Ansatz werden nur Unternehmungen aus einer bestimmten Branche angeschaut. Dies hilft bei der Diversifizierung des Portfolios. So kann zum Beispiel eine Aktie aus dem Bereich “Konsumgüter” (Antizykliker) die Volatilität (Schwankungsbreite) des eigenen Depots reduzieren. In dieser Branche befinden sich grosse Unternehmen wie Procter & Gamble, Unilever oder General Mills. Eine gute Übersicht, über die verschiedenen Branchen inklusive der dazugehörigen Unternehmen, bietet die Seite finanzen.net1.

Unternehmenssitz

Dieses Kriterium wird meistens für die Steueroptimierung verwendet. Bei der Auszahlung von Dividenden müssen diese versteuert werden (zu dem Prozentsatz, welcher das Land, indem das Unternehmen ansässig ist, gesetzlich festgelegt hat). Es gibt jedoch die Möglichkeit, zumindest in der Schweiz, einen Teil des Geldes wieder zurückzufordern. Dies ist jedoch nur mit viel Aufwand (etliche Formulare müssen ausgefüllt und von verschiedenen Stellen signiert werden) zu bewerkstelligen. Daher bietet es sich an, Firmen mit Unternehmenssitz in Ländern zu wählen, welche keine Steuern für Dividenden einfordern. Für die Schweiz sind dies zum Beispiel die Länder Grossbritannien und Australien.

Währung

Jede Einzelaktie oder Index-Fond wird in einer definierten Währung gehandelt. Um Währungsprobleme (z.B. Währungsabwertung) abzufangen, sollte ein Portfolio über mehrere Währungen diversifiziert werden. Daher werden bei diesem Ansatz die Unternehmen anhand der gewünschten Währung ausgewählt.

Nachhaltigkeit

Das Thema Nachhaltigkeit ist im Jahre 2020 eines der Schlüsselwörter im Bereich Geldanlage. Viele Unternehmen versuchen mit verschiedenen Massnahmen ihr Aussenbild, im Bereich Klimaschutz, aufzupolieren. Auch im ETF-Universum tauchen laufend neue Fonds mit dem Label ESG (steht für die Bereiche Umwelt, Soziales und Unternehmensführung), SRI (steht für Anlegen mit sozialer Verantwortung) oder SDG (Ziele für nachhaltige Entwicklung) auf. Eine Möglichkeit, Unternehmungen anhand dieser Faktoren zu filtrieren, ist dem Autor nicht bekannt. Ein mögliches Vorgehen, um trotzdem an “grüne” Aktien zu gelangen, ist die Selektion eines oder mehreren ETFs, welche den Zusatz eines der oben aufgeführten Kürzel beinhaltet. Danach kann die Zusammensetzung auf der Website des Indexanbieters recherchiert werden (zum Beispiel der MSCI World SRI Index2).

IPOs

Um ein Wertpapier eines Unternehmens öffentlich zum Kauf anzubieten, muss dieses zuerst an die Börse “gehen”. Werden dabei Aktien aus dem Bestand der Altaktionäre oder aus einer Kapitalerhöhung angeboten, wird von einer Erstplatzierung (IPO, engl. initial point offering) gesprochen. Diese Platzierung ist ein komplizierter, klar definierter Prozess mit mehreren Teilschritten. Dabei besteht die Möglichkeit, während einer gewissen Zeitspanne, Gebote (Preis und Menge) für die Wertpapiere des Unternehmens, abzugeben. Mit Hilfe von diversen Kriterien wird danach ermittelt, welche Gebote berücksichtigt werden. Nach Abschluss der Zuteilung wird das Wertpapier erstmals an der Börse gehandelt und ein erster Kurs festgesetzt. Dieser Akt wird Erstnotiz genannt. Geplante Börsengänge müssen im Voraus angekündigt werden. Im Netz existieren mehrere Listen von zukünftigen IPO‘s 34. Diese bilden die Grundmenge für die Auswahl eines Investments.

Bottom-Up

Für diese Vorgehensart werden zu Beginn volatile Faktoren verwendet, um die Anzahl der potentiellen Investments zu reduzieren. Danach können stabile Kriterien verwendet werden, um innerhalb der resultierenden Restmenge, die passende Einzelaktie zu ermitteln.

Selektion durch Kennzahlen

Diese Prozedur startet mit der Festlegung einer Menge an Kennzahlen. Diese können aus allen möglichen Bereichen stammen: Profitabilität (z.B. Umsatzrendite), finanzielle Stabilität (z.B. Verhältnis von Verbindlichkeiten zu Eigentkapital), Preis-Bewertung (z.B. KGV), Chart-Technik (z.B. Momentum) und viele mehr. Danach werden diese bei allen verfügbaren Aktien überprüft und diejenigen, welche mindestens eines der Bedingungen nicht erfüllen, aus der Grundmenge aller Aktien entfernt. Übrig bleiben nur noch die Unternehmen, welche alle definierten Eigenschaften erfüllen. Nun kann eine oder mehrere Aktie ins Depot gelegt werden. Um die Filterung der einzelnen Werte komfortabler durchzuführen, können sogenannte Stock-Screener verwendet werden. Beispiele dafür sind die Websiten onvista oder Wallmine.

Selektion durch Rendite

Bei diesem Ansatz werden Unternehmen anhand des Verlaufs der Kursentwicklung selektiert. Wurde eine Aktie in jüngster Vergangenheit aufgrund von schlechten Nachrichten oder Gerüchten stark abgestraft, könnte diese eine Kauf-Opportunität sein. Dabei sollten jedoch die Chance auf eine Trendwende gut analysiert werden. Beispiele für solche Unternehmen sind Volkswagen (Diesel-Skandal) und Wirecard (u.a. Verdacht auf Bilanzfälschung), wobei VW sich nur langsam erholt. Wirecard, der Anbieter von Zahlungsmanagement-Lösungen, steuert auf die Insolvenz zu, die Aktie wird zu einem Preis von unter einem Euro gehandelt.

Selektion durch Anlagestrategie

Bekannte Investoren wie Peter Lynch oder Benjamin Graham haben eigene Investment-Strategien entworfen und mit der Öffentlichkeit geteilt. Bei diesem Ansatz bleiben nur die Unternehmen übrig, welche die Kriterien der einzelnen Strategien erfüllen. Die Website meetinvest bietet die Möglichkeit, die Strategien der grossen Investoren nachzubilden und sich per Mail über die Veränderungen informieren zu lassen. Das anschliessende Video, auf dem Finanzlabor-Youtube-Kanal, erklärt den Umgang mit dem Tool:

Hinweis: Leider wurde der Service Anfang 2022 eingestellt. Die Betreiber sind jedoch offen für ein Kaufangebot. Es besteht also noch eine kleine Chance, dass die Dienstleistung bald wieder zur Verfügung stehen wird.

Digitale Beliebtheit

Bei diesem Ansatz werden die potentiellen Unternehmen anhand ihrer Präsenz in den sozialen Medien bewertet. Dabei können Kennzahlen wie das Wachstum der Anzahl Follower, die Anzahl der Nennungen (Hashtags) oder die Stimmung (engl. sentiment) analysiert werden. Ein Vergleich mit Hilfe von Google Trends (Anzahl Suchanfragen innerhalb einer bestimmten Zeit und Region) kann ebenfalls bei der Entscheidung hilfreich sein. Weitere Kriterien könnten die Sorgfältigkeit (Schreibfehler in den Mitteilungen) und die Kommunikation (wird auf Fragen oder Kritik eingegangen) sein. Es existieren diverse kostenpflichtige Tools, welche Analysen der Social Media Kanäle anbieten.

Diverse

Die Ansätze, welche in diesem Kapitel erläutert werden, können in keine der beiden oberen Kategorien eingeordnet werden.

Empfehlungen

In diese Sparte gehören Unternehmen, welche einem von Drittpersonen (zum Beispiel von Freunden oder Finanzbloggern) empfohlen werden. Dabei gilt zu beachten, dass solche Aktien nicht blind nachgekauft werden. Eine vollständige Analyse der Aktie sollte zwingend durchgeführt werden. Social Trading Plattformen wie Wikifolio können dabei helfen, interessante Wertpapiere zu finden.

Erfahrungen in Job oder Freizeit

Menschen auf dieser Welt benutzen eine Vielzahl von Produkten und nehmen verschiedene Dienstleistungen in Anspruch. Häufig stellt sich die Frage, ob Aktien dieser Firmen, welche hinter diesen Angeboten stecken, an der Börse gehandelt werden. Ein grosser Vorteil dieses Ansatzes ist, dass das Tätigkeitsgebiet des Unternehmens bekannt ist und das Geschäftsmodell verstanden wird. Auch die Stärken und Schwächen der Produkte/Dienstleistungen wurden durch die eigene Nutzung bereits in Erfahrung gebracht. Der starke Bezug zu den Unternehmen birgt jedoch auch Gefahren. Eine objektive Einschätzung der Investition fällt den meisten Leuten schwer, eine rechtzeitige Abstossung (Verkauf) wird verpasst.

Fazit

Das sogenannte “Stock picking”, das gezielte Investieren in Einzelaktien von börsennotierten Unternehmen, gehört zu den schwierigsten Aufgaben in der Geldanlage. Es wird in vielen Fällen darauf verzichtet und zu einem Korb von Aktien (Index-Fonds) ausgewichen. Riesige Renditen, wie zum Beispiel eine Verzehnfachung des Einstiegskurses (engl. tenbagger), sind damit jedoch nicht zu erzielen. Die Hilfestellung in diesem Artikel soll dazu dienlich sein, die grosse Menge an Einzelaktien, auf eine anschauliche Grösse zu minimieren. Durch diese Methoden werden auch kleinere, unbekannte Unternehmen zum Vorschein kommen. Der Autor wünscht, allen Leserinnen und Lesern, viel Glück auf der Suche nach der nächsten Kurs-Rakete.

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